Münster - Zum Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach füllte sich am
Samstagnachmittag erneut die Apostelkirche. Zum elften und letzten Mal
stand Kantor Klaus Vetter am Dirigentenpult. Die Kantorei an der
Apostelkirche wurde durch das Barockorchester „Le Chardon“ begleitet.
Vier Solisten komplettierten das konzertante Aufgebot. Tenor Nils
Giebelhausen erzählte als Evangelist das heilige Geschehen. Johanna
Rademacher (Alt), Fanie Antonelou (Sopran) und Dominik Wörner (Bass)
fügten sich überzeugend in ihre Rollen im weihnachtlichen Geschehen. Von Andreas Hasenkamp Sonntag, 16.12.2018
Die "Kantorei an der Apostelkirche", das Barockorchester „Le Chardon“ und die
Gesangssolisten unter der Gesamtleitung von Klaus Vetter, der in Kürze
in den wohlverdienten Ruhestand geht.
Foto: Andreas Hasenkamp
Besonders ausdrucksstark erklangen die Choräle. Da ist jedes Wort
greifbar, jeder Kontrast und Gegensatz wird ausgedeutet. Mit Fülle und
Wärmestrom füllt der Chor auch in der dritten Kantate den Text,
besonders beim „Mit dir will ich endlich schweben voller Freud“ und
beweist große, aber nicht strapaziös erscheinende Dynamik. Der Chor
meistert ebenso den langen, anspruchsvollen Beginn der fünften Kantate,
bewahrt Präzision und Dynamik. Auf diese gesangliche und atmosphärische
Dichte angesprochen, sagt Vetter
nach dem Konzert: „Ja, das ist schon etwas Besonderes.“ 31
Jahre arbeitet er nun mit der Kantorei an der Apostelkirche.
Auch das Instrumentalspiel überzeugt. Für die sinfonischen Anteile gilt
dies ebenso wie für das Einzelspiel im Begleiten der Stimmsolisten: etwa
das Einsetzen der Geige, die den Eindruck pointiert, wenn der Alt
fragt: „Warum wollt ihr erschrecken?“
So bleiben die Einheit der sechs Kantaten und der Spannungsfaden im gut
dreistündigen Konzert in der kühlen Apostelkirche erhalten. Es ist ein
Brausen, lyrisches Betrachten der Seele, vom Appell zum Jauchzen und zum
Schmettern der Engel. Applaus und Gratulationen belohnten Chor,
Orchester und Solisten.
2) Vorwort zum Programmheft: Liebe
Konzertbesucher
gleich
nach der Aufführung des Elias stürzte sich die Kantorei wieder so begeistert in
die Proben zum Weihnachtsoratorium wie immer. Obwohl alle SängerInnen das Werk in und - meist sogar - auswendig kennen ist keine Routine, oder gar Langeweile
zu spüren, sondern Lebendigkeit und pure Freude am Wieder-Eintauchen in diese
Musik. Dasselbe gilt für das Orchester, die Solisten und das Publikum, auf
welche das Werk seit Jahrzehnten eine fast magische Anziehungskraft ausübt.
Begonnen
hatte diese bereits 1954, als die erst 1946 von Wolfgang Klare gegründete Kantorei
jährlich, als einziger Chor Münsters, das Weihnachts-Oratorium
aufführte. Eine enorme Leistung in der Nachkriegszeit, die auch weitere 25
Jahre konkurrenzlos blieb.
Als dann
Wolfgang Mielke 1979 die Kantorei übernahm, waren inzwischen zahlreiche andere
Chöre entstanden. Seitdem finden die Aufführungen alle 3 Jahre, im Wechsel mit
dem Heinrich-Schütz-Chor und der Studentenkantorei, statt.
Diese
Tradition habe ich dann bei meinem Amtsantritt 1987 übernommen und im Laufe der
Jahre um drei ganz unterschiedliche Versionen erweitert, die in Münster bislang
einmalig sind.
Zunächst kam der Kantatengottesdienst hinzu, in dem wir jedes Jahr fortlaufend eine
der Kantaten musizieren. Ein so aufgeteilter Zyklus dauert also 6 Jahre. Ganz
am Anfang haben wir die Kantaten sogar einmal – wie von Bach vorgesehen – an den jeweiligen Feiertagen im Gottesdienst
aufgeführt, also vom 1. Weihnachtstag über Neujahr bis Epiphanias. Inzwischen
haben wir allerdings den 2. Feiertag als festen - und damit für alle im Voraus
planbaren - Termin eingeführt und befinden uns nun im 5. Zyklus! Das ist nur
mit den begeisterten Mitwirkenden durchzuführen, die bereit sind, diese Termine
mit der Familie entsprechend abzustimmen. An dieser Stelle ganz herzlichen Dank
dafür!
Im
Jahre 2000 wagten wir dann erstmalig die Doppel-Version, die wir bis heute
fortführen: Samstag die Kantaten 1-6, und Sonntag die Kantaten 1-3 „zum
Mitsingen und Zuhören“. Viele waren
damals besorgt, dass das Mitsingen des Publikums ohne vorherige Probe die
Qualität der Aufführung erheblich beeinträchtigen könnte. Doch das Gegenteil
war der Fall. Diese Form des interaktiven Musizierens ist wirklich ansteckend
und begeistert jedes Mal sowohl den Teil des Publikums, der nur zuhört als auch
die Mitwirkendenselbst.
Ursprünglich war die Musik des Weihnachtsoratoriums zu weltlichen Anlässen komponiert, zu
Geburtstagen der sächsischen Kurfürstin und des sächsischen Kurprinzen. Diese
kennt heute niemand mehr und die Musik zu diesen fürstlichen Anlässen wäre längst
vergessen, wenn Bach ihr nicht nachträglich
einen geistlichen Text unterlegt hätte. Um das deutlich zu machen, haben wir 2006 und 2009 zu den beiden eben erwähnten Versionen des
W.O. eine dritte mit den zugrundeliegenden weltlichen Kantaten angeboten, bei denen die
beiden allegorischen Hauptfiguren „Tugend“ und Wollust“ sogar in Kostümen
auftraten. Die WN titelte anschließend ihren Bericht: „Weihnachtsoratorium: Als
noch die Wollust lockte.“ 2009_Weihnachtsoratorium-Kritik.pdf
Zum
11. und damit zum letzten Mal dirigiere ich heute das „W.O.“
Welche dieser Traditionen künftig weitergeführt werden weiß ich natürlich
nicht, aber ich bin mir sicher, dass es auch nach meinem Ausscheiden aus dem Amt
weiterhin mit derselben Hingabe und
Begeisterung aufgeführt werden wird, sobald die ersten Paukenschläge mit der
Aufforderung erklingen:
„Jauchzet, frohlocket!“
3) Dankes-Mail
Lieber Klaus!
Dein letztes
Weihnachtsoratorium! Ich glaube, dass es dafür in Münster
keinen besseren Rahmen gibt als unsere Apostelkirche! Es war wieder ein
wunderbares Bild, die schlichten hellen Bögen sehr schön
ausgeleuchtet, nur ein großer Adventskranz mit 2 dicken roten
Kerzen, darunter das nicht so grosse Orchester, dahinter hochauf der
schlicht dunkel gekleidete Chor.
Die Kirche voll besetzt mit sehr gutem Publikum, man spürt die
Universitätsstadt, viele Männer(!), viel Mittelalter und
Jüngere. Es war das reinste "Musizieren", unaufgeregt, leicht und
wiegend. Die Solisten immer wieder an verschiedenen Plätzen
plaziert, das machte die Geschichte lebendig.
Der Chor wunderschön klar und sicher und ohne den kleinsten
Wackler und Tonabfall! Der Sopran jugendlich hell und gut
verständlich. Das Durchenanderstehen kam vorallem den Männern
zu Gute, so fest hab ich die Männerstimmen noch nie
erlebt. Überhaupt ist die Verjüngung der Kantorei nicht nur
ein sichtbarer, sondern vor allem hörbarer Qualitätsgewinn!
Ich sass ja in der Mitte und konnte das Ganze sehr gut
überblicken. Wirklichst zutiefst bedauert habe ich, dass das
Konzert nicht gefilmt wurde. Wie da der Chor auf jede Nuance Deiner
Bewegungen reagiert hat, wie Du mit vollem körperlichen Einsatz
ohne Taktstock, mit Armen und Beinen und Händen und Füssen und
Kopf, in Wiegend und Habachtstellung alles vorbereitet hast und der
Chor voll reagierte, bilderbuchreif!!
Ich hab nochmals den Text mit- und nachgelesen, den ich jahrelang ohne
viel Nachzudenken nur so mitgesungen habe, das Wichtigste war die
Musik. Es ist ein unklares Deutsch! Da gehört ja fast eine
sinnvolle Übersetzung nebenangestellt. M.W.