Letzte Matthäuspassion mit Kantor Klaus Vetter in der Apostelkirche
Leidensgeschichte tief ausgelotet
Münster -
Im Chorraum der Apostelkirche hängt ein riesiges Kreuz des Bildhauers
Heinrich Gerhard Bücker. Mit der Darstellung des gekreuzigten Jesus, der
das Leid überwunden hat, dessen Gesicht Ruhe, ja vielleicht sogar
Gelassenheit ausstrahlt. Ganz ähnlich ist es mit dem in Klang gesetzten
Jesus, wie Johann Sebastian Bach ihn in seiner Matthäus-Passion
zeichnet: Trotz seiner existenziellen Erfahrung von Verrat, Angst und
Folter ist Jesus sich am Ende gewiss, dass sein Tod nicht sinnlos ist,
mögen die Feinde noch so spotten.
Von Chr. Schulte im Walde
Zum sechsten und letzen Mal führte Kantor Klaus Vetter mit „seiner“
Kantorei in der Apostelkirche die Matthäuspassion auf. Der Kinderchor
des Paulinums kam ergänzend hinzu. Als instrumentaler Partner wirkte das
Barockorchester „Le Chardon“ mit.
Foto: Christoph Schulte im Walde
Und das tun diese ja auch
durchaus sehr dramatisch – Augenblicke, in denen die Kantorei der
Apostelkirche am Wochenende mit markerschütternden Salven
auftrumpfte: „Lass ihn kreuzigen!“ oder
„Barrabam!“ Gleichwohl entschied sich
Klaus Vetter für eine Lesart der
Bach-Passion, die nicht das Opernhafte der Szenerie betonte, das
äußerlich Dramatische. Vielmehr lag ihm daran, den tiefen
Sinn der Leidensgeschichte für jeden einzelnen Menschen von heute
spürbar zu machen. Ganz prominent durch die Choräle, die mal
als unzweideutiger Appell daherkamen („Ich bin’s, ich
sollte büßen“), dann wieder ganz zart und
vertrauensvoll („Befiehl du deine Wege … des, der
den Himmel lenkt“). Wie ein geflüstertes Geheimnis dann die
Einsicht „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen“ –
ein kurzer, aber unglaublich elektrisierender Moment vor dem Ende der
Passion. Es war das sechste Mal, das Klaus Vetter mit
„seiner“ Kantorei
Bachs Matthäus-Passion
erarbeitet und aufgeführt hat. Von Routine aber keine Spur. Wie
auch! Jede Aufführung bedarf ihrer je eigenen Dramaturgie. Vetters
Konzept, die Tiefe des dichterischen Wortes in Verbindung mit der Musik
auszuloten, folgten auch die fünf Vokalsolisten, wobei Nils
Giebelhausen als Evangelist naturgemäß am meisten gefordert
war. Er hat sich längst als idealer Tenor für diese Rolle
etabliert und war es auch diesmal. Richard Logiewa, erst tags zuvor
für den erkrankten Harald Martini eingesprungen, realisierte mit
seinen Jesus-Worten (darunter ganz wunderbar sein „Trinket alle
daraus“) die eingangs beschriebene Ruhe und Gelassenheit. Seinem
Bass-Kollegen Markus Flaig oblagen die von ihm schön und plastisch
gestalteten Arien. Musikalisch und auch theologisch im Mittelpunkt
standen Johanna Rademachers balsamisch gesungene Reflexionen
„Buß und Reu“ und selbstverständlich
„Erbarme dich, mein Gott“ – zweifellos eines jener
Stücke Musik, die man auf die einsame Insel mitzunehmen hat. Genau
so wie die Sopran-Arie „Aus Liebe will mein Heiland
sterben“. Man kann diese paar Minuten, die nicht mehr als aus
einer Handvoll Tönen bestehen, tausendmal hören – sie
ergreifen einen immer wieder. So auch in der Version von Fanie
Antonelou, deren makellos geführter Sopran sich auch bestens
mischte im Duett mit Johanna Rademacher („So ist mein Jesus nun
gefangen“).
Nicht unwichtig: der Kinderchor des Gymnasiums Paulinum, von Margarete
Sandhäger vorbildlich einstudiert und die Kantorei prächtig ergänzend.
Auf das Barockorchester
„Le Chardon“ hat Klaus Vetter in der Vergangenheit schon
öfter als instrumentalen Partner gesetzt. Prinzipiell eine gute
Wahl, weil es dem Konzept einer „historisch informierten“
Aufführungspraxis folgt, die hier intendiert war. Dass es an
einigen wenigen Stellen Ungenauigkeiten in der Intonation, auch der
exakten Tempoauffassung gab, fällt nicht schwer ins Gewicht.
Am Ende dann Stille während des Läutens der Sterbeglocke – dann
überschwänglicher Applaus. Der galt ganz besonders Klaus Vetter und dem,
was er in den 32 Jahren seiner Amtszeit „gestemmt“ hat.
2) "Unsere Kirche"
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3) Mails
Lieber Klaus,
Danke für diese wundervolle Aufführung gestern abend. Es war ein gewaltiges Klangerlebnis. Ich stehe noch ganz unter diesem tiefen Eindruck. So habe ich die Matthäus Passion noch nie erlebt.
Es stimmte einfach alles. Und alle, die Chorsänger/innen, die Instrumentalisten, die hervorragenden Solisten, die Zuhörer, alle waren so intensiv in diese dramatische Inszenierung eingebunden, und keiner konnte "draußen" bleiben. Die Stille nach dem letzten Akkord und der Klang des Glöckchens hatte eine eigene Tiefenwirkung und sollte helfen, das tiefe Erleben mit nach Hause zu tragen. Das war ja immer Dein Anliegen. Kein Applaus. Aber diesmal war er nicht zu vermeiden. Es ging nicht anders. Das musste raus. Ich hab auch kräftig applaudiert. Das war wie eine Explosion. Und das hast Du wirklich verdient.
Ich habe ja einmal vor 17 Jahren die Matthäus Passion in Deinerm Chor mitgesungen und war damals schon sehr beeindruckt. Aber in all den Jahren hat Deine musikalische Handschrift und Interpretation den Chor und alle Mitwirkenden noch stärker geprägt und gestaltet. Und dieses Lebenswerk wird bleiben und weiter seine Früchte tragen. Ich bin so froh und
dankbar, dass ich das gestern miterleben konnte. Einfach wunderbar.
Gerhard Zimmermann
...Sehr berührend fand ich den so engen Kontakt zwischen Dir und
"Deiner" Kantorei jeden Moment zu spüren, in der intensiven
Gestaltung der Choräle ebenso wie in den Turba-Chören. Deine
Choristen haben wirklich alles gegeben, um Dir eine solch grandiose
Abschiedsaufführung zu ermöglichen. Ich ahne, wie emotional
am Abend Eure Abschiedsfeier gewesen sein mag. Vermutlich ist die
Kantorei wirklich so etwas wie Deine Familie, die Dir sicherlich in
Zukunft fehlen wird und gewiss auch umgekehrt....
KMD Martin Ufermann
...Dank aber vor allem für die Jahre, in denen Sie mit "Ihrer"
Musik unser Leben beglückt und bereichert haben! Der absolute und
würdige Abschluß Ihrer Tätigkeit mit der
Aufführung der Matthäus-Passion war Höhepunkt und
Vollendung Ihrer Karriere. Wunderbar fand ich die vollständige
Ausgeglichenheit der Stimmen im Chor, natürlich auch die Dramatik,
die einem Schauer über den Rücken jagte. Herrlich auch der
Klang des Orchesters - und vieles mehr.. Chr.T.
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