Bachs Bekenntnisse
Kaum ist die vielleicht erschütterndste
Totenklage der Musikgeschichte in tiefster Grabesstille verstummt, entfacht
Klaus Vetter einen sich fast überschlagenden Et resurrexit-Taumel.
Selbst der letzte Zweifler merkt: Hier feiert grad das Leben den Sieg über
den Tod. Mit Pauken und Trompeten. Und mit einem Chor, der den halsbrecherischen
Jubel-Figurationen locker gewachsen ist. Auch da, wo Bach sich vor lauter
Überschwang wenig um die menschliche Stimme schert.
Der Apostel-Kantor weiß: Bachs Hohe
Messe in h-Moll ist vor allem eines: große Bekenntnismusik. Rätselhaft
und unergründlich, ein Monument der Erhabenheit und Eindringlichkeit.
Von einer Gläubigkeit, die tiefer ist als der Graben zwischen den
Konfessionen. Und wenn der eingeschworene Protestant Bach eine liturgisch
alle Rahmen sprengende, lateinische Messe für den katholischen sächsischen
Hof schrieb wieso sollte Vetter sich nicht mit Feuer und Flamme in den
kontrastreichen Gloria-Jubel stürzen, sich festlich baden im hymnischen
Cum Sancto Spiritu-Glanz, im Fugenfest des Osanna?
Dass er und seine Klangkörper Figuralchor
und Kantorei nebst einem erfrischend schlank und akzentfreudig aufspielenden
Orchester con variazione aber eben auch anders können, das machte
diese Hohe Messe erst wirklich groß. Vom ersten gewaltigen Kyrie-Akkord
bis zu einem ganz verinnerlichten Dona nobis pacem spannte sich in der
Apostelkirche auch ein großer Bogen der Kontemplation. Freilich ohne
die vokalen und instrumentalen Farbtupfer durch einen allzu breiten Legato-Pinselstrich
zu verwässern. Einfach schön der Mezza-voce-Einsatz des Qui tollis,
die erschütternden Cruzifixus-Schweller, das Gleiten in der Et-expecto-Warteschleife...
Das Solistenquartett teilte Vetters Lesart.
Allen voran Yvi Jänicke, deren unaufdringlicher Alt wie geschaffen
war für ein ganz und gar verinnerlichtes Agnus dei-Flehen, und Heidrun
Luchterhandt, deren lyrischer Sopran im Laudamus te ganz liebreizend mit
der Solovioline kokettierte. Georg Poplutz (Tenor) und Hans Christian Hinz
hoch timbrierter, alle exaltierten Freuden-Koloraturen seiner Et in Spiritum
Sanctum-Arie mühelos meisternde Bass taten das Übrige, um diesem
Ereignis die verdienten stehenden Ovationen zu bereiten.
Markus Küper
Westfälische Nachrichten, 21. November
2004
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