H-Moll-Messe 2004:

 
Bachs Bekenntnisse

Kaum ist die vielleicht erschütterndste Totenklage der Musikgeschichte in tiefster Grabesstille verstummt, entfacht Klaus Vetter einen sich fast überschlagenden Et resurrexit-Taumel. Selbst der letzte Zweifler merkt: Hier feiert grad das Leben den Sieg über den Tod. Mit Pauken und Trompeten. Und mit einem Chor, der den halsbrecherischen Jubel-Figurationen locker gewachsen ist. Auch da, wo Bach sich vor lauter Überschwang wenig um die menschliche Stimme schert.
Der Apostel-Kantor weiß: Bachs Hohe Messe in h-Moll ist vor allem eines: große Bekenntnismusik. Rätselhaft und unergründlich, ein Monument der Erhabenheit und Eindringlichkeit. Von einer Gläubigkeit, die tiefer ist als der Graben zwischen den Konfessionen. Und wenn der eingeschworene Protestant Bach eine liturgisch alle Rahmen sprengende, lateinische Messe für den katholischen sächsischen Hof schrieb wieso sollte Vetter sich nicht mit Feuer und Flamme in den kontrastreichen Gloria-Jubel stürzen, sich festlich baden im hymnischen Cum Sancto Spiritu-Glanz, im Fugenfest des Osanna?
Dass er und seine Klangkörper Figuralchor und Kantorei nebst einem erfrischend schlank und akzentfreudig aufspielenden Orchester con variazione aber eben auch anders können, das machte diese Hohe Messe erst wirklich groß. Vom ersten gewaltigen Kyrie-Akkord bis zu einem ganz verinnerlichten Dona nobis pacem spannte sich in der Apostelkirche auch ein großer Bogen der Kontemplation. Freilich ohne die vokalen und instrumentalen Farbtupfer durch einen allzu breiten Legato-Pinselstrich zu verwässern. Einfach schön der Mezza-voce-Einsatz des Qui tollis, die erschütternden Cruzifixus-Schweller, das Gleiten in der Et-expecto-Warteschleife...
Das Solistenquartett teilte Vetters Lesart. Allen voran Yvi Jänicke, deren unaufdringlicher Alt wie geschaffen war für ein ganz und gar verinnerlichtes Agnus dei-Flehen, und Heidrun Luchterhandt, deren lyrischer Sopran im Laudamus te ganz liebreizend mit der Solovioline kokettierte. Georg Poplutz (Tenor) und Hans Christian Hinz hoch timbrierter, alle exaltierten Freuden-Koloraturen seiner Et in Spiritum Sanctum-Arie mühelos meisternde Bass taten das Übrige, um diesem Ereignis die verdienten stehenden Ovationen zu bereiten.
Markus Küper

Westfälische Nachrichten, 21. November 2004