I.
Liebe Gemeinde!
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Dieser Satz ist kein Bibelzitat, sondern er steht seit 1949 am Anfang unserer
Verfassung, im Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes. In modernen Verfassungstexten
qualifiziert der Ausdruck „Menschenwürde“ den Status derjenigen Wesen,
denen gleiche Menschenrechte zukommen. Von denen, denen wir Menschenwürde
zuschreiben, sagen wir zugleich, dass ihnen die gleichen elementaren Rechte
zuzuerkennen sind. Aber: Was ist der Grund dieser Würde? Worin besteht
sie und was ist ihre Begründung? Darüber sagt das Grundgesetz
direkt nichts.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Nach 1945 konnte sich dieser Satz deshalb auf einen breiten Konsens stützen,
weil es sich bei ihm um eine Reaktion auf die menschenverachtende Politik
des Nationalsozialismus handelte. Damals galt es als diskussionslos evident,
welche Handlungen es waren, die jedenfalls der Menschenwürde widersprechen:
Entrechtung, Verfolgung, Verschleppung, Versklavung, Zwangsarbeit, Terror
und Massenmord. Darüber hinaus erschien eine bestimmte Begründung
der Menschenwürde weder notwendig noch möglich. Man sprach geradezu
davon, der Satz von der Menschenwürde sei „eine nicht interpretierte
These“. In der Tat: Der Verfassungsbegriff der Menschenwürde ist begründungsoffener
Begriff. Es gibt kein weltanschauliches, philosophisches oder religiöses
Monopol auf seine Auslegung. Die konkrete Auslegung der Menschenwürde-Idee
ist von den kulturell geprägten Selbstverständnissen abhängig,
die in einer Gesellschaft lebendig sind – und eine pluralistische Gesellschaft
ist eine solche, in der es Streit, in der es auch Kontroversen über
den Grund der Menschenwürde geben kann und gibt.
Man muss daran auch nach innen, an die
Adresse der christlichen Kirchen erinnern: Es gibt kein christliches Monopol
auf die Auslegung der Menschenwürde. Neulich haben wir ja wieder einmal
das Schauspiel einer fragwürdigen Wertedebatte erlebt. Da wurde –
in diesem Fall von der Bundesfamilienministerin gestützt von zwei
Bischöfen – im Rundumschlag behauptet, auf den sog. christlichen Werten
basiere unsere ganze Kultur und unsere Verfassung dazu. So pauschal sollten
wir besser nicht reden. Auch was die Idee der Menschenwürde angeht,
sollten Christen und Kirchen nicht den Eindruck erwecken, Alleineigentümer
eines Gedankens zu sein, zu der sie selbst Jahrhunderte lang ein durchaus
gespanntes Verhältnis unterhalten haben und er auch andere als christliche
Wurzeln hat. Als Christinnen und Christen reklamieren wir in Sachen Menschenwürde
keinen Alleinbesitz. Was wir tun können ist: eine Deutung vorlegen
– nicht mit Verweis auf eine besonders glorreiche Geschichte des Christentums,
sondern in Erinnerung an die Quellen unseres Glaubens, die wir in großen
Stücken übrigens mit dem Judentum teilen. Was wir tun können
und sollten ist: auf der Grundlage dieser Quellen eine Deutung anbieten
– mit der offenen Frage, ob diese Deutung nicht besser und einleuchtender
als andere zu erläutern vermag, was es mit der Menschenwürde
auf sich hat.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“
– offenbar braucht dieser Satz solche Deutungen. Denn bei näherer
Betrachtung ist er gar nicht so leicht verständlich. Will der Satz
sagen: die Menschenwürde kann nicht angetastet werden, oder bedeutet
er: sie darf es nicht? Bezieht er sich auf ein Sein, ein Faktum? Aber mit
Blick auf die entwürdigten Iraker im US-Gefängnis Abu Ghraib
oder den in Potsdam zusammengeschlagenen Mitbürger schwarzer Hautfarbe
wissen wir doch: Die Menschenwürde ist antastbar! Oder bezieht sich
der Satz von der Unantastbarkeit der Menschenwürde auf ein Sollen,
ein Gebot? Aber worin sollte das begründet sein? Womöglich weist
die Zweideutigkeit der Formulierung darauf hin, dass der Grund der Menschenwürde
in einem Bereich angesiedelt ist, der dem Gegensatz von Sein und Sollen
vorausliegt.
Von der Sphäre, die diesem Gegensatz
vorausliegt, spricht der Mythos. In der Schöpfungserzählung,
die wir in der Genesis, im 1. Kap. des 1. Mosebuches finden, heißt
es in den Versen 26ff:
Und Gott sprach: Lasst uns Menschen schaffen,
ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im
Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh
und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das
auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde
Gottes schuf er ihn, und schuf sie als Mann und als Frau. Und Gott segnete
sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllt
die Erde und macht sie euch untertan! [ ...] Und Gott sah an alles, was
er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.
II.
Es ist literarisch gesehen ein Mythos,
aus dem diese Sätze stammen,
aber einer von hoher Rationalität.
Nennen wir seinen Verfasser, wie es uns die Bibelwissenschaft gelehrt hat,
den Priester. Er gehörte zu jener Führungsschicht aus Jerusalem,
die der babylonische König im 6. Jahrhundert vor Chr. in die Verbannung
schleppen ließ. Den Verbannten leuchtete nicht mehr ein, dass am
Anfang alles damit begonnen haben sollte, dass Gott in der Wüste einen
Garten anlegte, den Menschen bildete wie ein Töpfer sein Gefäß,
ihn in den Garten hineinsetzte usw. Solch altertümliche Geschichten
wollten sie nicht mehr glauben.
Der Priester erzählte darum keine
derartigen Geschichten mehr, sondern lehrte, lehrte vergleichsweise in
rationaler Klarheit von der Erschaffung der ganzen Welt und davon, dass
Gott, der die Welt durch sein Wort ins Leben rief, ein Geheimnis ist, das
sich menschlicher Vorstellung entzieht. Gott – das Geheimnis der Welt.
Aber: Was ist der Mensch? Auf diese Frage gibt der Priester in seinem Lehrstück
in äußerster Konzentration die Antwort: Der Mensch ist das Geschöpf
Gottes. Aber: Was bedeutet das? Der Priester hatte einen kühlen Verstand,
doch als er nach der Erschaffung der Tiere auf die des Menschen zu sprechen
kommt, da schlägt sein Herz höher, denn nun lehrt er ja von seinesgleichen.
Da leuchtet jeder Satz, nahezu jedes Wort in reichhaltigen Farben. Ich
will vier Aspekte nennen, die – wie könnte es bei Gottes guter Schöpfung
anders sein – alle miteinander zusammenhängen, vier Aspekte, die geradezu
auseinander hervorgehen:
Schon die allerersten Worte sagen aufregend
Befreiendes über den Menschen: Und Gott sprach: Lasst uns Menschen
schaffen!
Alles, was sonst noch ist und kreucht
und fleucht, das hat Gott durch einen Befehl ins Leben gerufen: Und Gott
sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sprach: Es werde eine
Feste zwischen den Wassern [...]! Und es geschah also – und so fort bis
zum sechsten Tag. Aber so, auf Befehl, entsteht kein Mensch. Gott kommandiert
den Menschen nicht ins Leben. Er besinnt sich erst, geht erst mit sich
zu Rate, führt einen inneren Dialog, bevor er sich aus Freiheit entschließt:
Lasst uns Menschen schaffen! Der Mensch ist Gottes Projekt, ein Entwurf,
der gut überlegt sein will, damit er glückt. Gott will den Menschen
als sein geglücktes Projekt, entworfen aus nichts - aus nichts anderem
als seiner göttlichen Kreativität. Befehle machen den Menschen
fertig; Gottes Entschluss macht ihn frei, entwirft ihn zu einem noch nicht
fertigen Wesen.
Der Mensch ist – so haben wir es vorhin
mit den Worten des 8. Psalms gesagt – nur wenig niedriger gemacht als Gott,
die ganze Schöpfung liegt ihm zu Füssen. Aber eine absolute Sonderstellung
hat der Mensch nicht. Für ihn ist kein eigener, kein separater Schöpfungstag
reserviert: Zusammen und gemeinsam mit den Tieren des Landes ist er ein
Geschöpf des sechsten Tages. Und doch gibt es da einen Unterschied:
Der Mensch ist der erste Freigelassene der Schöpfung. Als das Wesen,
das Gott aus Freiheit die Ehre geben kann, ist er zur Partnerschaft mit
Gott berufen – aber er ist so frei, dass ihm, wie wir aus der Bibel wissen,
auch die Abwendung von Gott und die Hinwendung zum Bösen offen steht.
Darin entspricht er Gott, dass er Selbstzweck ist, Zweck an sich selbst
und niemals nur Mittel, auch nicht bloßes Mittel für Gott. Im
Geschenk der Freiheit besteht als erstes seine Würde.
Es kommt darauf an, genau zu sagen, was
mit dieser Freiheit gemeint ist. Es ist nicht die Freiheit zu tun, was
man will. Diese Freiheit kann man sehr wohl einschränken, ohne jemandes
Würde zu verletzen. Man darf einen Verbrecher an seinen Taten hindern,
indem man ihn einsperrt. Man darf jemand, der dauernd bei Rot über
die Ampel fährt, den Führerschein entziehen. Die Freiheit, die
wir mit der Würde in Verbindung bringen, ist eine andere. Es ist im
Kern die Gott gleichende Freiheit, zu erwägen und wollen, was man
will. Diese Freiheit ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns als
authentisch erfahren und damit uns selbst achten und wertschätzen
können. Man kann sagen: Wer daran gehindert wird, zu wollen, was er
will, der wird gedemütigt, nämlich in seiner Selbstachtung verletzt.
Deshalb verletzt die Folter zutiefst die Menschenwürde, denn sie nimmt
einem Menschen die Möglichkeit, sich in seiner Selbstachtung darzustellen.
Aber jetzt das Zweite: Der Priester verwendet
für diese menschliche Würde ein starkes Wort: Lasst uns Menschen
schaffen – so lässt er Gott sprechen – lasst uns Menschen schaffen,
ein Bild, das uns gleich sei! Und noch einmal: Gott schuf den Menschen
zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.
Der Mensch ist dazu bestimmt, Gottes Ebenbild
auf Erden zu sein.
Erhabener kann vom Menschen nicht geredet
werden. Die Großkönige im alten Orient stellten in den Provinzen
ihres Reiches, in denen sie nicht regelmäßig anwesend waren,
Statuen, Standbilder von sich auf, um die Untertanen an ihren Herrschaftsanspruch
zu erinnern. Daran denkt der priesterliche Lehrtext, wenn er den Schöpfer
vom Menschen als seinem Bild sprechen lässt. Aber: Nicht für
einen Einzelnen wird dieses hoheitsvolle Wort reserviert, es wird egalitär
für alle Menschen verwendet. Sie alle sind gleichermaßen dazu
bestimmt, Statthalter Gottes auf Erden, Repräsentanten des Unbedingten
zu sein – in aufrechter Haltung, in der Darstellung ihrer Selbstachtung.
Mit dieser Würde verbindet sich allerdings
eine Aufgabe. Wir sind frei,
aber damit auch verantwortlich. Der Mensch
ist zur Freiheit, aber eben deshalb auch zur Verantwortung bestimmt. Er
ist ein verantwortungsfähiges Wesen. Dem Auftrag: „Macht euch die
Erde untertan“ – dem Auftrag zur Herrschaft über die Erde und über
die nichtmenschliche Kreatur ist der Mensch nur dann wirklich treu, wenn
seine Herrschaft der Herrschaft Gottes entspricht. Und das Kriterium dieser
Entsprechung lautet: Gott regiert zwar die Welt, aber er vergewaltigt sie
nicht. Nicht die ausbeutende, unterwerfende, despotische Herrschaft ist
gemeint, sondern die weise, die fürsorgende Herrschaft. Gemeint ist
eine gute Haushalterschaft, die die Balance der Ökosysteme respektiert
und über die gerechte Aufteilung der Lebensräume wacht, damit
eine Vielfalt von Formen, Arten und Individuen gedeihen können.
Und nun das Dritte; es heißt da in
unserem Text: Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, [...] und schuf
sie als Mann und als Frau.
Um zu verstehen, was Menschenwürde
heißt und danach zu handeln,
reichen intellektuelle Einsichten in die
Freiheit und Verantwortungsfähigkeit des Menschen offenbar nicht zu.
Wer erst lange darüber nachdenken muss, ob jemandem auch wirklich
Würde zukommt, der hat offenbar noch nicht verstanden, was Menschenwürde
bedeutet. Offensichtlich wurzelt die Möglichkeit, es zu verstehen
und auch entsprechend zu handeln, nicht nur oder nicht vorrangig in der
Vernunft, sondern in einem Gefühl. Das Gefühl für die Würde
des Menschen ist so etwas wie eine spontan wirkende, die ganze Welt erschließende
Einstellung und Haltung. Wie kann ein solches Gefühl, eine solche
Haltung und Einstellung entstehen? Doch wohl so: Niemand kann den andern
achten und schätzen, der sich nicht selbst achtet und wertschätzt.
Aber wiederum kann niemand sich selbst achten und wertschätzen, der
nicht zuvor seinerseits in allen wesentlichen
Bezügen seiner Existenz anerkannt
worden ist und wertgeschätzt wird.
Es gibt ein chinesisches Sprichwort, das
lautet: „Wer sich selbst ansieht, der leuchtet nicht.“ Das ist wahr: Wer
in den Spiegel guckt und sieht bloß sich selbst, der steht nicht
strahlend da, wie das schöne Ebenbild Gottes, sondern verfällt
auf Dauer in tiefe Traurigkeit. Der Mensch ist ein geselliges Wesen. Der
Mensch ohne den anderen Menschen ist ein Gespenst des Menschen. Dass der
Mensch als Mann und als Frau geschaffen ist, ist deshalb eine unmittelbare
Folge seiner Gottebenbildlichkeit. Damit der Beziehung Gottes zum Menschen
auch eine tiefe Beziehung zwischen den Menschen entspreche, damit kein
Mensch bloß sich selbst ansehen muss, damit er den Glanz im Auge
des anderen sehen kann, damit die Menschen einander zum Ansehen und Anfassen,
zum Ansprechen und Anhören, zum Anerkennen und Wertschätzen,
ja zum Lieben haben – darum schuf Gott den Menschen als Frau und als Mann.
Mann und Frau – das ist überhaupt
die
einzige Differenz, die unser Lehrstück unter den Menschen erwähnt
– aber auch sie nur deshalb, weil in dieser Differenz, im Unterschied der
wechselseitig Liebenden, die tiefe Einheit der Unterschiedenen erfahren
werden kann, und zwar rückhaltlos. Während bei Pflanzen und Tieren
verschiedene Arten unterschieden werden, finden beim Menschen solche Klassifizierungen
nicht statt. Der Mensch in seiner Würde, der gottebenbildliche Mensch
ist nicht differenziert nach Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe
oder Religion – und hinsichtlich seiner Würde auch nicht nach Geschlecht.
Und schließlich das Vierte: Gott
segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllt
die Erde.
Der Schöpfer segnete die Sexualität,
die die Menschen durchaus mit den Tieren gemeinsam haben. Das heißt
doch auch: Die Gottebenbildlichkeit ist der Menschheit als Gattung, in
der Kette der Generationen zugesprochen. Würde kommt dem Menschen
als Gattungswesen zu. Bei jedem Wesen, das vom Menschen abstammt, müssen
wir jedenfalls seine Anlage zum „Ich“, zu Freiheit und Personsein und damit
seine Teilhabe an der menschlichen Würde achten. Das, was wir meinen,
wenn wir „Ich“ sagen, um unserer Personalität, unserem Selbstsein
Ausdruck zu verleihen, ist nicht auf ein bestimmtes Datum unserer Biographie
zu fixieren. Deshalb sagen wir ja auch: „‚Ich’ wurde dann und dann geboren“,
obwohl wir, als wir geboren wurden, noch gar nicht „Ich“ sagen konnten
und auch keine bewusste Erinnerung an dieses Datum besitzen.
Es kommt also nicht darauf an, ob sich
an einem einzelnen Menschen Freiheit, Verantwortungsfähigkeit, Ich-Bewusstsein
usw. anhand bestimmter tatsächlicher, aktuell feststellbarer Eigenschaften
zeigen. Wäre es so, dann hätten das Neugeborene, der Komatöse
und die Demente keine Würde – vielleicht hätte nicht einmal der
Schlafende ein Würde, weil er aktuell nicht bei Bewusstsein ist. In
der Schöpfungsperspektive ist die Würde nicht zuerst das, worüber
wir als Einzelne verfügen, sondern etwas, wozu wir als Mitglieder
der Menschheit bestimmt sind. Als Mitglieder der Menschheit werden wir
geboren, nicht etwa von anderen zugelassen oder kooptiert. Wollten wir
sagen, jemand werde als Mitglied der Menschheit durch andere erst ausgewählt,
also selektiert und kooptiert, so hätten wir mit der Idee der Menschenwürde
auch den Gedanken der Menschenrechte aufgegeben. Denn der setzt voraus,
dass der Mensch als geborenes Mitglied der Menschheit aus eigenem Recht
allen anderen gegenübertritt. Mit der Gottebenbildlichkeit ist eine
Bestimmung jedes Menschen gemeint, die nicht dadurch verloren geht, dass
ihr ein Einzelner nicht entspricht oder entsprechen kann. Nicht menschliche
Vollkommenheit, sondern eine ultimative, eine göttliche Anerkennung
und Wertschätzung konstituiert die menschliche Person. Ein Gedicht
von Kurt Marti mit dem Titel ‚Geburt’ sagt es so:
ich wurde nicht gefragt
bei meiner zeugung
und die mich zeugten,
wurden auch nicht gefragt
bei ihrer zeugung
niemand wurde gefragt
außer dem Einen
und der sagte
ja
ich wurde nicht gefragt
bei meiner geburt
und die mich gebar
wurde auch nicht gefragt
bei ihrer geburt
niemand wurde gefragt
außer dem Einen
und der sagte
ja
III.
Das also ist der Mensch in seiner Würde
als Gottes Geschöpf: Geschaffen, aber mit Freiheit begabt. Einer,
der sein Leben führt als gegebenes und zugleich aufgegebenes. Zur
Wertschätzung und Liebe fähig, weil er Wertschätzung und
Liebe erfahren kann. Als Mensch gezeugt, nicht gemacht. Als Mitglied der
Menschheit geboren, nicht selektiert und kooptiert. Darüber steht
das Urteil des Schöpfers am Anfang: Und siehe, es war sehr gut! Ist
es noch gut? Heute, im Zeichen von Reproduktionsmedizin und Anthropotechnik
treten Menschen auf, die den großen Satz „Lasst uns Menschen schaffen“
gern im eigenen Namen wiederholen würden: „Wir wollen einen von uns
kopieren!“ Sind die, die so sprechen wissenschaftliche Psychopathen oder
die Avantgarde einer schönen und besseren neuen Welt?
Es war die große Verheißung
der neuzeitlichen Rationalität schon seit ihrem Beginn, die Gottebenbildlichkeit
durch technische Weltbeherrschung zu realisieren. Verständlich ist
diese Verheißung. Denn wer wollte bestreiten, dass uns ein Riss von
Gottes guter anfänglicher Schöpfung trennt? Wer wollte wagen,
im Angesicht von Not, Krankheit und Leid zu behaupten, das alles sei gottgewollt
und sehr gut? Aber es ist eine Frage der Verantwortungsfähigkeit des
Menschen, eine Frage seiner verantworteten Freiheit, auch bei der Bekämpfung
von Krankheit und Leid das richtige Maß zu wahren. Heute, da Genetik
die Genesis beerbt, sind die Mittel greifbar nahe, die es erlauben, den
Unterschied zwischen Gezeugtem und Gemachtem zu verwischen, durch optionale
Geburt das Unberechenbare, den Zufall, das Zerstörerische zu beherrschen.
Heute scheint die Möglichkeit der technischen Selbstoptimierung und
Selbstperfektionierung des Menschen greifbar nahe. Eine Welt ohne Leid,
ohne Schmerzen, Entbehrung und Tod wird das zwar sicher nicht bringen –
wäre es aber eine Welt, in der der Gedanke der gleichen Würde
und Rechte aller Menschen noch zu halten wäre?
Stellen wir uns vor, einer von uns spielt
erfolgreich Schöpfer und hebt durch reproduktives Klonen die bisher
bestehende Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf auf: Warum
verstieße es denn gegen die Menschenwürde, einen Menschen mit
identischem Erbgut zu kopieren? Schließlich bewirkt doch die Natur
im Fall eineiiger Zwillinge das gleiche, und eine identische genetische
Ausstattung schafft wegen der unterschiedlichen sozialen Einflüsse,
denen diese Kopien ausgesetzt wären, eben doch nicht zwei vollständig
identische Menschen. Und selbstverständlich stünde auch dem Klon
der Schutz seiner Menschenwürde zu.
Der Punkt, auf den es ankommt, ist aber
ein anderer: Einen Menschen zu klonen würde ihm die Unvorhersehbarkeit
seiner genetischen Ausstattung nehmen. Diese Unvorhersehbarkeit der Anlagen
und Eigenschaften, die Zufälligkeit unserer genetischen Ausstattung
ist aber eine elementare Bedingung dafür, dass wir uns – unbeschadet
aller Verschiedenheiten – in dieser Hinsicht als Gleiche unter Gleichen
verstehen können: Bislang ist, so weit wir wissen, keiner von uns
gemacht worden. Wenn einer von uns Schöpfer spielte und die Differenz
von Schöpfer und Geschöpf aufhöbe, dann höbe er auch
die elementare Gleichheit auf, die bisher noch darin besteht, dass niemand
von uns seine Persönlichkeitsmerkmale auf die absichtliche Planung
durch einen anderen Menschen zurückführen muss. Es wäre
eben das Ende der gleichen Würde aller Menschen, wenn ein diesseitiger
Schöpfer seine Machwerke unter den Zwang der von ihm gewählten
Eigenschaften stellte.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Das ist ein voraussetzungsreicher, ein deutungsbedürftiger Satz. Ich
habe eine Deutung aus den Quellen unseres Glaubens, aus der Schöpfungsperspektive
versucht. Vielleicht leuchtet Ihnen etwas davon ein.
Amen.
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