Stadtpredigt III, Sonntag 15. Juni 2008
Pfarrer Wiegand Wagner, Loccum
Rektor i.R. des Pastoral-Kollegs Loccum
Gelassenheit und Freiheit
Bläserensemble an der Apostelkirche
Leitung: Volker Grundmann
Klaus Vetter, Orgel

Liebe Gemeinde in Münster!
Mit der Einladung zu diesem Gottesdienst und damit, dass Sie hier sind, haben wir die Aufgabe übernommen, Gelassenheit und Freiheit in den Mittelpunkt dieses Gottesdienstes zu stellen. Ich schlage Ihnen einen Weg vor, den wir dazu gehen können.
Ich stelle Ihnen zunächst den Menschen vor, der das schöne Wort Gelassenheit in unsere Sprache gebracht hat – Meister Eckart und seine Welt.
Und dann schauen wir gemeinsam, wie es sich mit der Gelassenheit heute verhält, in unserer Sprache, in unserer Welt. Und zuletzt werden wir ein kurzes Wort aus dem heutigen Predigttext auf die Probe stellen, ob das alles auch etwas mit Freiheit zu tun habe, was wir tun und lassen.
Rö 21: Vergeltet nicht Böses mit Bösem, sondern überwindet das Böse mit Gutem.
In der Zwischenzeit singen wir zwei Strophen von einem Meister der Gelassenheit, der diese Lebenskunst erprobt hat: Gerhard Tersteegen.
Also schauen und hören wir auf Meister Eckart und seine Welt: „Wenn ich predige, so pflege ich zu sprechen von der Abgeschiedenheit und dass der Mensch frei werden soll, seiner selbst und aller Dinge. Zum zweiten, dass man wieder eingebildet werden soll in das Einfache, das Gott ist. Zum dritten, dass man des großen Adels gedenken soll, den Gott in die Seele gelegt hat, dass der Mensch so auf wunderbare Weise zu Gott kommt. Zum vierten, vom dem Licht göttlicher Natur, was Gottes Glanz sei, das ist unaussprechlich. Gott – ein Wort.
Ein ungesprochenes Wort.“
Vierfach getroffen. Wer so spricht, Eckart, das ist ein Meister des Wortes und des Gedanken. Meinen wir nicht, dass „Meister“ nur ein Lob sein soll, es ist der Gelehrtentitel, den der Professor der Theologie und Philosophie in Paris, Straßburg und Köln führte und der ihm in verschiedenfachem Sinne geblieben ist.
Unterwegs zwischen Paris, Thüringen, Straßburg und Köln leider auch Avignon – zu Fuß! – wechselt er die Aufgaben eines Gelehrten und eines Ordensbeauftragten als Generalvikar mit der Praxis von Aufsichts- und Reformaufgaben. Ein Prediger – nicht nur nach seiner Beschäftigung, sondern auch seinem Orden nach, dem Predigerorden des heiligen Dominikus. Das waren Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten in den boomenden Städten des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts in Zeiten von Unruhe, schwersten Krankheiten und großen wirtschaftlichen Brüchen mit Wissenschaft und Seelsorge die unsicher gewordene Kirche zusammenzuhalten. – Noch war nicht die Zeit, in der diese Brüder die Ketzerverfolgung zu ihrer Hauptaufgabe gemacht haben.
Und wenn der Magister am wissenschaftlichen Arbeitstisch mit den Gelehrten Magistri Europas, christlichen wie auch islamischen, korrespondiert und diskutiert, wenn er in aller Kollegialität auch dem Obermagister Thomas, dem von Aquin widerspricht – in Straßburg und Thüringen und in Köln predigt er Menschen in deutsche Sprache. Es sind meist Frauen, die in dieser Zeit in großer Zahl in die Klöster oder in weltlich-kommunitäre Gruppen eintreten, um frei zu sein, für Berufe, soziale Arbeit und gelassene Ruhe. Frei vor allem auch von den Autoritäten der Väter und Brüder und sonstiger Obrigkeiten geistlicher wie weltlicher Art.
Ihnen predigt der gläubige Magister, was er denkt. Ihnen sagt der Gelehrte mühsam in der Volkssprache, was er glaubt. Er predigt Gelassenheit. In seiner Sprache klang es neu gelaassenheit, wie es die Schwaben heute noch sprechen. Wir hörten davon eben: dass der Mensch frei und ledig werden solle von sich selbst und den Dingen. Dass sie, die ja vieles verlassen haben, loslassen lernen. Sogar die großen Ziele: Heilig zu sein, Gott zu erkennen. Dass sie, wie wir es hörten, den Tempel ihrer Seele leer machen könnten, von allem, was der Mensch muss, ersehnt und braucht – denn Gott weiß ja, was wir alle wirklich brauchen – und was nicht.
Eckart der Universitätsgelehrte, der die Seelen seiner ungelehrten aber genau hinhörenden Hörerinnen in den Glanz Gottes hinein bilden möchte – des ungesprochenen Wortes.
Was Gelassenheit sei? Er hätte es auch nennen können: „verkaufe alles, was du hast und folge mir nach“, trenn dich von dem, was dich bedrückt, mach dich frei von Bindungen, die dich hindern, zu finden, was du mit deinem Leben suchst. Für Deine Seele und Gott brauchst du so wenige Dinge.
Ja, von diesem Mann hat unsere Sprache das gute Wort Gelassenheit gelernt. Ich schweige davon, dass auch er wie manche seiner Hörer in die Mühlen des Glaubensverdachtes geriet und dass man auch Sätze fand, die man mit etwas bösem Willen als Irrlehre verurteilen konnte – er teilt es mit so vielen.
Eckart, Meister und Magister – ein freier Mann.
Gemeinde: eg 393
(4) Man muss wie Pilger wandern, frei, los und wahrlich leer;
Viel sammeln, halten, handeln macht unsern Gang nur schwer.
Wer will, der trag sich tot; wir reisen abgeschieden, mit wenigem zufrieden;
wir brauchen’s nur zur Not, wir brauchen’s nur zur Not
Und jetzt lassen Sie uns schauen, wie es sich mit der Gelassenheit heute leben mag in unserer Welt, in unserer Sprache.
Mit drei Klicks sind Sie in der ersten Runde dabei:
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Leichtigkeit steigert Ihre Produktivität: Sie bringt Sie überhaupt erst in die Verfassung, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Sie macht Ihren Kopf und Blick frei für das, was Ihnen an Wegen und Lösungen offensteht. Gelassenheit bringt Unterstützung: Wer mit verbissener Miene und apokalyptischen Gesängen durch die Gänge zieht, der macht sich keine Freunde.
Wer Zuversicht und Offensivgeist ausstrahlt, dem reichen andere die Hand. Leichtigkeit und Gelassenheit sind die Basis Ihrer Lebensqualität: Ohne Leichtigkeit keine Lebensfreude. Ohne Gelassenheit keine Genussfähigkeit. Also – ein Programm für mehr Unbeschwertheit ist auch ein Programm für mehr Lebensqualität. Lassen Sie nicht jeden und jedes an sich heran (Ein Programm für Lebenskunst).
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Dieses sind keineswegs die krassesten Ergebnisse meiner Google-Suche. Und keine ist böse oder schlimm gemeint. Und auch wenn ich gar kein kultur- oder sprachkritisches Interesse hier verfolgen will, Schiller hätte es gehört, wo das Problem sitzt:
„…Spricht die Seele, so spricht – ach – schon die Seele nicht mehr.“
Sie hören es vielleicht auch ------ ?
„Dâz der Mensch ledig werde sines selbs und aller Dinge“, das jedenfalls verbindet sich heute nicht so leicht mit Gelassenheit. Schlimm daran ist nicht, dass Gelassenheit ein Ausdruck für alles Mögliche geworden ist.
Schlimm aber dies: Aus der Freiheit, um derentwillen wir nach Gelassenheit
fragen, ist das übliche Rennen um Erfolg, Macht und Güter geworden. Steig ein in das Rattenrennen um Wettbewerbsvorteile. Gelassenheit macht Gewinner, und schon sind wir auf der falschen Straße. Es ist Schlauheit von der Art, wie sie von David dem Hirtenjungen erzählt wird, der nach dem Anprobieren der mächtigen Rüstung des Königs Saul diese schleunigst auszieht. Er kehrt zu den einfachen Dingen zurück. Gelassen nimmt er seine Schleuder und wählt fünf glatte Steine, um seinen Gegner Goliath um so sicherer zu töten. Auch hier, eine Gelassenheit der Sieger. Ich möchte neben all das ein Stück Sprache stellen, das Reiner Kunze gesprochen hat. Von Gelassenheit wird da gesprochen, ohne dies Wort noch zu gebrauchen:
Zuflucht, noch hinter der zuflucht.
Hier tritt ungebeten nur der wind durchs tor.
Hier ruft nur gott an.
Unzählige leitungen läßt er legen
Vom himmel zur erde
Vom dach des leeren kuhstalls
aufs dach des leeren schafstalls
schrillt aus hölzerner rinne der regenstrahl.
Was machst du? fragt gott.
Herr, sag ich, es regnet, was soll man tun.
Und seine antwort wächst grün durch alle fenster.
Es ist einem schwierigen Mann in schwieriger Zeit gewidmet, Peter Huchel.
Und mir zeigt es, dass Gelassenheit vielleicht nicht auf die Siegerstraße, aber auch nicht auf das hoffnungslose „Was soll man tun“ - Ruhebänkchen führt.
Was gäb ich, was gäben Sie für ein Wachsen ‚grün durch alle Fenster‘ für unsere Seelen. Unter dem Regen Gottes.
Gemeinde: eg 393
(2) Es soll uns nicht gereuen der schmale Pilgerpfad;
Wir kennen ja den Treuen, der uns gerufen hat.
Kommt, folgt und trauet dem; Ein jeder sein Gesichte mit ganzer Wendung richte
fest nach Jerusalem, fest nach Jerusalem.
Jesus sprach zu einem Menschen, von dem er wohl Grund hatte zu glauben,
dass er gefangen war in einen Gütern und Dingen und im Erfolg. Es
wird ausdrücklich berichtet, dass Jesus ihn lieb gewann. Möglicherweise
sagte er ihm deshalb: Verkaufe alles, was Du hast und gib’s den Armen.
Du aber folge mir nach.
Er verriet ihm das Geheimnis der Gelassenheit – kein Patentrezept für jeden; und führt zugleich auf einen schmalen Weg. Nicht auf die Siegerstraße – oder?
In dem Predigttext von heute aus dem 12. Kapitel des Römerbriefes findet sich dazu ein seltsamer Satz, der uns bis heute beschäftigen sollte. Es ist die entschiedenste Aufforderung zur Gelassenheit, die ich kenne, und ist gleichzeitig eine Ermächtigung zur grenzenlosen Freiheit. Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege du das Böse mit Gutem. Wie können wir dem Wort nachgehen?
Es haben schon mehr Menschen gesehen, „wie anstrengend es ist“, böse zu sein, aber ist angesichts des Bösen und des Abgrundes an Gemeinheit, den wir öffentlich wie privat so oft vor Augen gestellt bekommen, nicht eher auch mal ein prophetischer Zorn angesagt, der die Adern schwellen lässt? Jeder von uns kennt das. Und nicht einmal nur das Böse lässt uns gelegentlich böse werden. Auch die langweilige Trostlosigkeit mancher Tage. Vielleicht könnten der Magister Eckart und Paulus gemeinsam uns weiter bringen. Wir werden den Kampf gegen das Böse nicht als Sieger beenden, leider haben die Unrecht und wenig Selbsterkenntnis, die das hoffen. Aber wir werden uns auch nicht hängen lassen, sondern eine Gelassenheit suchen, die sich hinein bildet und einlässt in den Glanz Gottes und in Seine Gelassenheit.
Ich selbst würde es deshalb gerne mit einer List versuchen. Glauben wir nicht an das Böse. Glauben wir bösen Menschen ihre Bosheit nicht. Täglich nicht. Alltäglich nicht. Nehmen wir Gottes Vorsatz in unseren Umgang mit Menschen auf, der niemanden als Bösen geschaffen hat. Denn er sah ja einst, dass es gut war.
Was mag das heißen, dass Paulus nicht sagt: Besiege das Böse mit noch mehr Macht und Kraft, sondern sagt, was er sagt und meint, was er sagt? Welche Verwirrung, wenn böse gewordene Menschen entdeckten, dass da mehr, ungeheuer viel mehr Güte in Gottes Welt ist, als sie je besiegen können. Solch eine Hoffnung, solch ein Glaube wäre der Sieg – nein sagen wir nun, wäre Gottes Gelassenheit, die die Welt überwindet. Ein unaussprechlicher Glanz in unserem Glauben.
Gott lassen, was er uns geschehen lässt. Lieben lernen, wen er uns begegnen lässt. Darüber wäre noch viel zu denken.
Amen